Die BordBistros im Intercity schenkten nicht nur leibliche, sondern auch seelische Stärkung. Zum Fahrplanwechsel 2023/24 hat DB Fernverkehr die Wagen für immer ausgereiht. Ein echter Verlust an Reisekultur.
Samstag, 09. Dezember 2023, früher Abend im Bahnhof Hamburg-Dammtor. Gespanntes Warten auf den IC2371 nach Koblenz. Es ist der letzte reguläre Fahrplantag mit BordBistros im Intercity bei DB Fernverkehr. Wird der Zug diesen besonderen Service-Wagen wirklich noch einmal mitführen? In den vergangenen Tagen mehrten sich Berichte über ganze Intercity-Linien, auf denen die Waggons bereits ausgesondert waren.
Schade eigentlich. Denn: Eines war bei der Mitfahrt in diesen Wagen garantiert: man geht gestärkt daraus hervor. Nein, nicht nur im Sinne des leiblichen Wohls. Die vielen Beobachtungen, Begegnungen und Gespräche im klassischen Bistro-Wagen des Intercitys schenkten vor allem auch seelische Stärkung.
Genau dafür waren die BordBistro-Wagen auch konzpiert worden. Ganz ursprünglich unter dem Namen „BistroCafé“ wurden Sie aus alten Fernverkehrswagen umgebaut, um ab Ende der 1980er Jahre für eine besondere Gastlichkeit im InterRegio zu sorgen. Dieses längst schon wieder in Vergessenheit geratene Zugsystem sollte damals den D-Zug nicht nur ablösen, sondern die Regionen komfortabler und besser an das Fernzugnetz von Intercitys und den ab Anfang der 1990er Jahre aufkommenden ICE-Zügen anzubinden.
Der Gedanke dahinter: Einen neuartige Bord-Gastronomie schaffen, die dank einer kleinen Service-Theke weniger defizitär als die klassischen Vollspeisewagen ist. Dafür sollte sie aber als schick gestalteter Begegnungsort zwischen erster und zweiter Klasse ein im guten alten D-Zug bisher unbekanntes Wohlfühlgefühl schenkten.
Um dieses Ziel zu erreichen baute man in der Ursprungsausführung so genannte Rundbänke auf beide Seiten des Gangs. Dazu noch zwei Stehgelegenheiten vor der Service-Theke, an der die Service-Kraft im Einpersonen-Betrieb sowohl heißen Kaffee oder kühles frisch gezapftes Bier ausschenken konnte, wie auch einfache Gerichte zubereitet: vom Frühstück über das Nürnberger Rostbratwürstchen bis hin zum Süppchen.
Das Konzept ging auf: Schnell wurden die Bistros im InterRegio zu beliebten Treffpunkten bei den Reisenden. Der Mit-Erfinder des InterRegios Karl-Dieter Bodack berichtet in seinem wirklich lesenswerten Buch zur InterRegio-Geschichte sogar von Fahrgästen, die sich eigens die Monatskarte leisteten, um für das Feierabendbier mit dem InterRegio zwischen zwei nahe gelegenen Bahnhöfen zu pendeln.
Das Erfolgsrezept aus Einfachheit im Betrieb, Beliebtheit bei Fahrgästen und angemessener Größe war es vermutlich auch, weshalb die Bistros auch nach der Abschaffung des InterRegios in den verbliebenen Intercity-Zügen weiterliefen. Zunächst noch mit der klassischen InterRegio-„BistroCafé“ Einrichtung, später sogar auch modernisiert als „BordBistro“ im heutigen Look der Restaurants von DB Fernverkehr.
Gerne erinnere ich mich an so manche Sommerferien-Fahrt als Jugendlicher im Intercity, bei denen ich bewusst das BordBistro besuchte. Egal, ob heiße Schokolade mit Butterkuchen oder knackiger Salat mit Apfelschorle. Durch den Bistro-Besuch wurde die Fahrt einfach zum unvergesslichen Erlebnis.
Auch später beim Pendeln zwischen den Großstädten gab es für mich nichts schöneres, als morgens um sechs im Bistro zu frühstücken. Blick aus dem Fenster, vorbeifliegende Landschaft, dazu ein Biss ins Crosissant. Unvergesslich.
Genauso unvergesslich sind mir die vielen Begegnungen im BordBistro. Da war der Stadtplaner, der mir erzählte, warum das alles mit den Großprojekten nicht mehr klappt und wie sich die Verdichtung der Bürokratie auf seinen Alltag auswirkt. Da war die Service-Kraft, die mir berichtete, wie gerne sie Dienst auf diesen schon sehr alten Wagen macht.
Doch nicht allein das Alter der Wagen ist der Grund für ihre Abstellung. Denn viele der Fahrzeuge haben noch ausreichende Fristen – auf gut Deutsch: ihre Zulassung (also der Fahrzeug-TÜV) ist noch gültig. Als Problem gelten vielmehr die Drehfalttüren am Wagenende. Ein tödlicher Unfall, mehrere Vorfälle und daraus resultierende neue Vorgaben für den Betriebsablaufs durch das Eisenbahnbundesamt – Bahn-Freunde munkeln, dass das die Gründe für die frühzeitige Abstellung der Wagen sind.
Heute rollt er aber tatsächlich nochmal. IC2371 nach Koblenz hat ihn tatsächlich noch, den klassischen Wagen 11 – das BordBistro. Ein letztes Mal warte ich auf das klassische Zischen, um dann die wuchtige Drehfalttür zu öffen. Zugegeben: Leicht war das nie, aber freudiger als heute habe ich sie noch nie aufgemacht.
Dann rein ins Bistro. Mein Lieblingsplatz – hinten links am Fenster, direkt an der Tür zur 1. Klasse – ist noch frei. Und schon geht die Fahrt los. Die Bistrokraft schiebt ein letztes Mal die Holz-Verkleidung nach unten und gibt somit die Theke frei. Einmal Chili Con Carne und Weizenbier bitte.
Die Fahrt geht los. Das Bistro füllt sich. Wie immer kommen diejenigen, die keine Reservierung haben und sich deswegen erstmal nur mit Wasser auf einen Platz setzen. Die Business-Frau vorne rechts ist so eine. Goldene Ringe und Armbänder. Dazu das Handy am Ohr. Kaum zu überhören erzählt sie, dass sie jetzt mit dem Zug losfährt und sich ein Spiegel-Sonderheft als Lektüre mitgebracht hat.
Aber es sind auch diejenigen da, die sich einfach über einen warmen Platz und das warme Essen freuen. Ins Gespräch komme ich mit den beiden am Nachbartisch direkt hinter meiner Tisch-Sitzgruppe. Er fährt zum Tinderdate nach Bremen. Macht er sonst eigentlich nicht – aber das Bier und das Essen helfen, ihm Mut zu schenken.
Ihr Zug kam leider nicht und deshalb war sie nur durch Zufall in diesem Zug gelandet. Verspätet, aber glücklich über die Stärkung. In Bremen setzt sie sich zu mir. Die Bahn ist immer ein guter Eisbrecher – jeder hat so seine Zuggeschichte aus der letzten Zeit zu erzählen. Noch ein Weizenbier? Gerne. Eis nehme ich auch – hatte ich noch nie im Zug. Unser Gespräch wird tiefer, persönlich, nah. Wie so oft hier im Bistro.
Und dann kommt er auch schon. Mein Ausstiegsbahnhof Duisburg. Wahnsinn. Sind die vier Stunden wirklich wieder schon um? Im Bistro verging die Zeit mal wieder wie im Fluge, oder besser: im Zuge. Mehrere Jungs, die ebenfalls ihre Abschiedsfahrt machen, stehen am geöffneten Übersetzfenster: sie halten ihre Gesichter in den frischen Fahrtwind. Auch das gibt es in den anderen Wagen und Triebzügen bei DB Fernverkehr ab dem Fahrplanwechsel nicht mehr.
Ein letztes Mal warte ich aufs Zischen. Ich wuchte die Drehfalttür auf. Raus auf den Bahnsteig. Doch anders als sonst bleibe ich noch stehen. Schaue zu, wie die Tür nach dem Pfiff des Schaffners wieder ins Schloss fällt. Abfahrt. Der Zug setzt sich in Bewegung. Und mit ihm ein letztes Mal ein BordBistro vor meinen Augen. Schade, denke ich.
Ich werde die kuschelige Reisekultur mit Drehfalttüren und den Übersetzfenstern vermissen. Die künstliche Atmosphäre der neuen ICEs kann sie jedenfalls aus meiner Sicht nicht ersetzen. Bye bye, BordBistro. Es war schön mit dir. Und zum Glück kann DB Fernverkehr uns zwar die Wagen, aber nicht unsere Erinnerungen nehmen.
Die wirklich allerletzte Passagier-Fahrt eines Bordbistros-Wagens vom Typ ARkimmbz (mit Drehfalttüren und Übersetzfenstern) fand sogar noch einige Tage nach dem Fahrplanwechsel am 20.12.2023 statt – im IC auf der Linie zwischen Berlin und Amsterdam. Anschließend wurde dieser Wagen ausgereiht.