Amerika hat gewählt. Nach den aufgeregten Trump-Jahren zieht nun wieder Vertrautheit und Verlässlichkeit ins Weiße Haus ein. Gedanken zur Wahl von Joe Biden, dem künftigen US-Präsidenten.

Schon nach den ersten gesprochenen Worten durchzieht mich ein wohliges Gefühl von Vertrautheit, Ruhe und Sicherheit. Joe Biden ist der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade ist er in Wilmington, Pennsylvania, von seinem Running Mate, der designierten Vize-Präsidentin Kamela Harris, auf die Bühne gerufen worden.

Erfahrung, Zuversicht und Integration

Nach einem tosenden Empfang durch seine Anhänger tritt er ans hölzerne Rednerpult. Da steht ein Mann, wie man sich einen amerikanischen Präsidenten vorstellt. Und genau so redet er auch: Erfahren, zuversichtlich und integrierend. Schade, denke ich mir, dass ich diese Rede nur per Livestream über das Internet verfolgen kann.

Denn was Joe Biden sagt und vor allem, wie er es sagt, ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Welt von Donald Trump, dem 45. Präsidenten der USA, in den vergangenen fast vier Jahren hören musste. Da ist wieder die Rede von den „vereinigten Staaten“, vom „amerikanischen Traum“ und von „Verbündeten“.

Amerika, wie ich es kenne

Das ist das Amerika, das ich persönlich kennen gelernt habe. Damals im März 2008 in Omaha, im tiefsten Nebraska, einem klassischen republikanischen Staat mit seinen Waffennarren, Gläubigen und Konservativen, wie es sie eben viele im Herzen der USA gibt, das von den Küstenmenschen so oft auch abschätzig als „Flyover Country“ bezeichnet wird.

Es ist aber auch das Amerika, das ich im Jahr 2015 in Washington DC kennen gelernt habe, der Stadt, in der bei dieser Wahl nur 6 Prozent, so sagt es zumindest das ZDF, der Wähler*innen republikanisch gewählt hat. Eben liberal, weltgewandt und zukunftsorientiert, wie es an der Ost- und Westküste überall sein soll.

„Back to the Roots“ heißt die Devise

Damals im Herbst 2015 deuteten sich die Trump-Jahre bereits an: „Trump 2016“ stand in großen Lettern dort auf einem riesigen Schild, wo wenig später das „Trump Hotel“ seine Pforten öffnen sollte. Es war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Donald Trump in den vergangenen vier Jahren immer wieder in den Vordergrund rückte: sich selbst.

Nun also „Back to the roots“ – Joe Biden will dort anknüpfen, wo Barack Obama aufhörte und so viele seiner Vorgänger. Doch dass es für uns Menschen in Deutschland und der Europäischen Union unmittelbar einfacher wird, ist heute noch nicht sicher. Denn: Die großen Streitpunkte bleiben.

Spaltung und Streitpunkte bleiben

Das Nato-2-Prozent-Ziel, dessen Einhaltung schon Obama einforderte. Die Forderung an Verbündete, wie Deutschland, mehr für die eigene Sicherheit zu tun. Das Handelsdefizit zwischen den USA und Deutschland. Die in den USA ungeliebte Gas-Pipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland.

Nein, wie früher wird es sicher nicht unter Joe Biden. Aber es könnte durchaus entspannter werden mit ihm. Auch klarer und Freundlicher im Ton. Berechenbarer. Optimistischer. So wie man Amerika eben aus der Vergangenheit kennt. Und zu hoffen bleibt, dass Biden das gelingt, was Trump bewusst nicht wollte: der Präsident aller Amerikaner zu werden.

Gedanken zum Ausgang der US-Wahl vom 08.11.2020