Kassel-Calden, Erfurt, Paderborn: Die meisten Regionalflughäfen überleben nur dank millionenschwerer Steuergeld-Zuschüsse. Die Corona-Krise verschärft die Lage erheblich. Eine crossmediale plusminus-Recherche.

Fliegen für alle, von nebenan – Deutschlands Regionalflughäfen machen‘s möglich. „Das Ergebnis sind Millionendefizite, die die Steuerzahler seit Jahren tragen“, sagt Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler.

Nichts geht mehr an den deutschen Regional-Airports

Und Corona macht’s noch teurer. „Da gilt eben dieser Satz: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, findet Sebastian Dette vom Landesrechnungshof Thüringen. Für Plusminus habe ich recherchiert, wie viel uns die Airports kosten und wie es wirtschaftlicher geht.

Verlassene Terminals, leere Vorfelder, keine Passagiere … An den rund 20 deutschen Regionalflughäfen geht gerade fast gar nichts mehr – vor allem an denen, die schon vor Corona nur mit viel Geld vom Steuerzahler am Leben gehalten wurden. Und das waren die meisten.

„Wir haben uns die Zahlen angeguckt für 2018, die Bilanzen und Jahresabschlüsse. Und da mussten wir konstatieren, dass Round About 100 Millionen Euro Steuergeld in die Regionalflughäfen geflossen ist“, erklärt uns Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler. Und wegen der Corona-Flaute werde es jetzt noch teurer.

Kassel-Calden: Steuerzahlerkosten pro Passagier teuer wie USA-Flug

Erstes Beispiel: Kassel-Calden. Im Corona-November gehen nicht mal die zwei Flüge, die hier sonst alle zwei Tage abfliegen. Bei der Eröffnung vor sieben Jahren hatten Sie noch mit 650.000 Passagieren gerechnet. Nach 120.000 im vergangenen waren es von Januar bis Oktober diesen Jahres gerade mal 27.000.

Gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler hat plusminus ausgerechnet, was der Passagierrückgang für uns Steuerzahler bedeutet: Während in Calden 2018 noch gut 130 Euro an Steuerzahlerkosten pro Passagier anfielen, waren es dieses Jahr 650 Euro.

Dafür könnten alle Kasseler Fluggäste zusätzlich noch von Frankfurt nach Los Angeles fliegen. „Jeder einzelne Passagiere dort ist sehr teuer erkauft. Und deswegen ist Kassel-Calden sicherlich einer der ersten Flughäfen, die eigentlich stillgelegt werden müssten“, sagt Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler.

Das Land Hessen hingegen sieht als Mit-Eigentümer sogar noch Entwicklungspotenzial: „Wir brauchen den Flughafen in der Region Nordhessen. Sie wissen, es war in der Vergangenheit einer abgehängt Region verkehrsmäßig schwer, sehr schwer zu erreichen. Und der Flughafen schafft die Möglichkeit der Erreichbarkeit“, sagt Dr. Martin Worms vom hessischen Finanzministerium.

Erfurt: Landesrechnungshof fordert Airport-Schließung

Zweites Beispiel: Flughafen Erfurt. Das einzige was hier noch rollt sind neben ein paar Frachtfliegern die 24  zwischengeparkten fabrikneuen Airbus-Maschinen. Vor 10 Jahren prognostizierten sie knapp 600.000 Passagiere für 2020. Doch grade mal 154.000 waren es 2019 – und dieses Jahr nur etwas mehr als 27.000.

In Erfurt hat jeder Passagier die Steuerzahler statt  15 Euro in 2018 in diesem Jahr mehr als 145 Euro gekostet  – dafür hätte jeder Gast sogar noch mit der Lufthansa ab Frankfurt nach Italien fliegen können.

„Das ist sicherlich ein Flughafen, der seine Erwartungen nicht erfüllt hat. Auch hier muss man sehen, die Nähe zu zu Leipzig, der ICE-Halt. All das spricht dagegen, jetzt zwingend, in Erfurt noch einen Flughafen am Leben zu erhalten“, sagt Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler.

Der Flughafen sei überdimensioniert ausgebaut worden und damit strukturell defizitär. Eine Einschätzung, die auch der Landesrechnungshof-Chef von Thüringen nach mehreren Prüfungen teilt.

„Das bedeutet, dass er generell ständig auf Subventionen angewiesen sein wird. Er wird also niemals –  so ist unsere Prognose – , die Kosten, die er tatsächlich verursacht, auch erwirtschaften können“, sagt Sebastian Dette vom Landesrechnungshof. Jede Form der Überkapazität an öffentlicher Infrastruktur ist Verschwendung. Dieses Geld könnte weitaus sinnvoller eingesetzt werden.“

Paderborn: Gesundschrumpfen in der Insolvenz

Drittes Beispiel: Flughafen Paderborn. Auch an NRWs Vorzeige-Regional-Airport: Verwaiste Terminals. 1,2 Millionen Passagiere gab es hier noch 2007 – knapp 700.000 waren es letztes Jahr – bis Oktober 2020 wurden bisher nur 91.800 Passagiere gezählt. In Paderborn hat sich der bisherige Zuschussbedarf pro Passagier fast verzehnfacht – von 6 Euro auf 50 Euro.

Dafür hätten die Fluggäste auch einfach mit der Bahn zum Frankfurter Flughafen fahren können. „Eigentlich steht Paderborn vergleichsweise gut da. Dennoch hat Paderborn im Jahre 2018 ein Defizit unterm Strich von rund 4,6 Millionen Euro zu verzeichnen gehabt“, sagt Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler.

Um den Betrieb langfristig aufrechtzuerhalten, hat der Airport Insolvenz angemeldet, aus der er sich selbst durch Gesundschrumpfen herausarbeiten kann. „Wir haben den Maßstab, dass wir von den Erlösen, die bekommen leben können, das heißt, unsere Kosten so anzupassen, dass sie den Erlösen entsprechen, die wir erwarten können“, sagt Flughafenchef Marc Cezanne.

Experte: „Misere der Regionalflughäfen war absehbar“

Zu teure Regionalflughäfen, die immer mehr Steuergeld brauchen – genau das hat Deutsche-Bank-Analyst Eric Heymann bereits vor 15 Jahren vorhergesagt. Zwei bis drei Mio. Passagiere brauche es, um einen Flughafen wirtschaftlich zu betreiben sagt Heymann. Und die gab es schon vor 15 Jahren nicht.

„Viele Fluggesellschaften sie haben sich eher auf die mittelgroßen und großen Flughäfen konzentriert. Es gab auch weniger Wachstum aus dem lokalen Passagieraufkommen heraus“, sagt Heymann. Zudem gab es schon die klimapolitische Regulierung und EU-Vorgaben, die die Investitionsbeihilfen und die Betriebsbeihilfen für kleinere Flughäfen erschweren.

Heymann hat deshalb einen klaren Ratschlag an die Politik: „Man muss nicht unbedingt einen großen die Ausbaupläne weiter voranschreiten oder die Infrastruktur für Charter und Linienflüge Vorhalten, sondern man kann das auch etwas gesundschrumpfen“, sagt Heymann.

Er verbindet das mit einem klaren Ziel: „Damit dürften dann die Verluste pro Jahr deutlich niedriger ausfallen. Und zugleich hat man eine gewisse öffentliche Infrastruktur für die Allgemeine Luftfahrt vor Ort“, sagt Heymann. Doch dafür brauche es aber eine bundesweite Strategie.

Bundesminister Scheuer: „Ich bin Infrastruktur-Investitionsminister“

Doch von der ist Bundesverkehrsminister Scheuer meilenweit entfernt. Beim virtuellen Luftverkehrsgipfel vor drei Wochen versprach er stattdessen neue Zuschüsse für angeschlagene Flughäfen – nach derzeitigen Plänen wohl eine halbe Milliarde Euro vom Bund und nochmal eine halbe Milliarde von den Ländern.

Eine neue Strategie für die teuren Regionalflughäfen lehnt er auf Nachfrage von plusminus explizit ab: „Herr Pfeiffer, ich bin nicht Infrastrukturabbau-Minister, sondern Infrastruktur- Investitionsminister. Und wenn wir eine Corona Pandemie haben, dann sind wir alle zusammen Infrastrukturerhaltungsministerium“, so Andreas Scheuer.

Regionalflughafenverband: „Wirtschaft braucht die kleinen Airports“

Und auch der Vorsitzende des Regionalflughafenverbands Klaus-Jürgen Schwahn betont die Bedeutung der vorhandenen Infrastruktur: „Wir haben in Deutschland über 1100 Mittelständler, die Weltmarktführer in ihrem Bereich sind und die also überwiegend auch aus der Provinz heraus arbeiten und eben auch auf einem eigenen Werksverkehr angewiesen sind, um ihrem einfach auch aus der Provinz heraus mit der Welt verbunden zu sein.“

Kritiker sagen: Dann könnten sie sich auch stärker an den Kosten beteiligen und so die Steuer-Zuschüsse für die klammen Flughäfen verringern.

Dabei zeigen zwei Standorte, dass es durchaus Chancen für einen erfolgreichen Neustart ehemaliger Regionalflughäfen gibt.

Magdeburg-Cochstedt: Neustart als Drohnentestzentrum

Hier im ehemaligen Terminal von Magdeburg-Cochstedt sieht es noch immer so aus, als würde der Flugbetrieb morgen wieder losgehen. Dabei wurde an Sachsen-Anhalts einzigem Verkehrsflughafen seit der Insolvenz vor vier Jahren kein einziger regulärer Flieger mehr abgefertigt.

Doch jetzt weckt das Deutsche Zentrum für Luft-  und Raumfahrt die ehemalige „Landratspiste“ aus ihrem Dornröschenschlaf. Als Testzentrum soll Cochstedt Deutschlands und Europas technologischen Vorsprung im Bereich unbemannter Flugsysteme weiter sichern – eine nachhaltige Bundesinvestition.

„In Cochstedt bieten sich wirklich durch die große Fläche für die Technologieerprobung selber. Da sehe ich, bevor ich wirklich über besiedeltem Gebiet fliege, wie sich mein System verhält. Das ist das eine“, sagt Daniel Sülberg, Leiter des DLR in Cochstedt.

Und durch die Flughafeninfrastruktur, die sie hier eben auch aufrechterhalten wollen, gebe es auch in der Integration in den Luftraum sehr viele Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren. Und wenn alles klappt, sollen ab 2023 hier sogar wieder erste Verkehrsflüge starten – dann unter Federführung des DLR.

Zweibrücken: Wie es kleiner und wirtschaftlicher geht

Und das Beispiel Zweibrücken zeigt, dass das „Fliegen von nebenan“ auch kleiner und wirtschaftlicher gehen kann. Nach der Insolvenz des ehemaligen Regionalflughafens 2014 sind sie hier neu gestartet.

Der Immobiliensentwickler Triwo betreibt aber nicht nur den abgespeckten Regionalflughafen, sondern vierdient auch Geld mit einem Konferenzzentrum und Fahrzeugtests der Automobilhersteller. Und trotzdem ist der Flugverkehr gewachsen – heute landen hier vier Mal mehr Flugzeuge als vorher – und das mit weniger Mitarbeitern am Standort.

„Der Flughafen hatte vorher 120 Mitarbeiter. Der heutige Flugplatz hat 20 Vollzeitarbeitskräfte“, sagt Peter Adrian, Geschäftsführer des Flughafens von Zweibrücken. „Daran sehen Sie natürlich, dass wir mit ganz anderen, mit einem ganz anderen personellen Apparat hier die Liegenschaft bewirtschaften.“ Und all das geht ganz ohne teure Steuergeld-Zuschüsse.

Fazit: Es braucht ein bundesweites Regionalflughafenkonzept

Meine plusminus-Recherche zeigt: Fliegen von nebenan und Wirtschaftlichkeit – das muss kein Widerspruch sein. Es braucht nur eine Abkehr vom „Weiter so“  – und den politischen Willen für ein bundesweites Regionalflughafenkonzept.

Die Recherche zur Lage der Regionalflughäfen wurde crossmedial am 25.11.2020 bei hr-info, bei hr1, bei mex im hr-fernsehen sowie bei plusminus im Ersten ausgespielt.